Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit rücken während der Corona-Pandemie verstärkt in den Fokus. Schon 2018, also lange bevor Corona das Schulgeschehen beeinflusst hat, zeigte die PISA-Studie, dass sich Bildungsgerechtigkeit in den vergangenen Jahren nicht gebessert hat. Im Gegenteil: sie hat sich sogar verschlechtert. Durch Schulschließungen hat das Schulsystem mit weiteren Herausforderungen zu kämpfen. Digitaler Unterricht konnte nicht überall problemlos durchgeführt werden. Internet und Endgeräte sind nicht an allen Schulen und schon gar nicht in allen Haushalten verfügbar. Dies wirft neue Fragen zum Thema Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit auf.
Das Recht auf Bildung ist universelles Menschenrecht
1948 wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Recht auf Bildung niedergeschrieben. Diese bildet die heutige Kontur des Menschenrechts auf Bildung, die in Artikel 26 wie folgt niedergeschrieben ist:
- „Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muß allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.
- Die Bildung muß auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muß zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen (…) beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.
- Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll.“
Die Kernforderungen des Rechts auf Bildung sind somit klar definiert:
- Grundbildung ist verpflichtend und unentgeltlich
- kein Kind darf diskriminiert werden
- Eltern haben das Recht die Bildungsangebote für ihre Kinder zu wählen
Doch wie sieht es in der Umsetzung aus? Sind die Forderungen auch in schwierigen Zeiten zu erreichen?
Grundecht auf Bildung und die Schulschließungen
Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung. Schule ist damit obligatorisch für alle Kinder. Der erste Lockdown kam überraschend. Von einem Tag auf den anderen wurden die Schulen geschlossen. Einen Plan, wie das Schulsystem mit dieser Herausforderung umgeht, gab es nicht. Es wurde improvisiert. Arbeitsblätter wurden ausgedruckt und den Schüler*innen zur Verfügung gestellt. Besonders in den Grundschulklassen stellte sich die Frage: Wie soll unterrichtet werden? Ein bloßes Abarbeiten von Arbeitsblättern ist für die Wissensvermittlung nicht ausreichend. Digitale Konzepte gab es nicht und somit auch keinen Distanz-Unterricht.
Homeschooling stand für die Schüler*innen auf der Tagesordnung. Lernen ohne Lehrkräfte. Besonders kleine Kinder benötigen ergänzende Erklärungen, die Mimik und die Sprache der Lehrkräfte, um Inhalte besser zu verstehen. Aber auch die älteren Kinder der 5.-7. Klassen benötigen noch klare Anweisungen und Erläuterungen, um zu lernen. Diese Problematik wurde durch Wechselmodelle nur zum Teil aufgefangen. Den Jugendlichen der Klassen 7-13 wurde selbständiges Lernen eher zugetraut. Ausreichend erfüllt wurde das Recht auf Bildung dadurch jedoch nicht erfüllt. Es fehlte schlichtweg an Konzepten für Distanzunterricht und organisatorische Handhabe an den Schulen. Das Recht auf Bildung wurde mit den Schulschließungen massiv erschwert.
Soziale Ungerechtigkeit diskriminiert
Bildung soll jedem zur Verfügung stehen – unabhängig von sozialen, kulturellen oder finanziellen Hintergründen. Dies ist aber in Zeiten von Schulschließen kaum zu bewältigen. Viele Schulen und private Haushalte haben keinen Internetanschluss. Es hapert außerdem an Endgeräten wie Laptops oder Tablets. Abgesehen davon, dass der überwiegende Teil der Lehrkräfte an privaten Endgeräten arbeitet, verfügen viele Haushalte nicht über nötige Hardware. Viele Kinder und Jugendliche müssen sich – wenn überhaupt verfügbar – Laptop oder Tablet mit Geschwisterkindern teilen. Die Teilnahme am Distanz-Unterricht ist für viele Betroffene aufgrund von sozialen und finanziellen Hintergründen stark eingeschränkt.
Das Deutsche Schulbarometer hat eine Befragung unter Lehrkräften durchgeführt. Eines der größten Probleme ist und bleibt die digitale Ausstattung. Im April 2021 sagten 66 Prozent der Lehrkräfte aus, dass ihre Schule weniger gut oder schlecht auf den Fernunterricht vorbereitet ist. Erschreckend ist die Aussage bei der Frage zu Lernrückständen und sozialer Ungleichheit: 86 % der Lehrkräfte denken, dass die Effekte der sozialen Ungleichheit durch die Schulschließungen verstärkt würden.
Homeschooling in verschiedenen Elternhäusern
Durch die Corona-Pandemie wurde das Recht der Eltern bei den Bildungsangeboten für ihre Kinder mitzuwirken nochmal verstärkt. Eltern mussten Ersatzlehrer sein und ihre Kinder bei der Erledigung der Aufgaben unterstützen.
Nicht überall ist das aber möglich. Besonders schwierig wird die Homeschooling-Situation für Kinder, die aus sozialen, kulturellen oder finanziellen Hintergründen keine Unterstützung erfahren durften. Viele fremdsprachliche oder sozialschwache Eltern können ihre Kinder nicht unterstützen, weil schlichtweg Sprachkenntnisse nicht ausreichen oder nicht genügend finanzielle Mittel für digitale Endgeräte oder Nachhilfe vorhanden sind.
Viele Maßnahmen der Bundesregierung sind gut gemeint und haben zum Ziel haben, Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit im Bildungssystem zu etablieren. Die Ursachen für das Fehlen dieser ist aber so vielfältig und komplex, dass mehr Anstrengungen und finanzielle Mittel erforderlich sind.
Digitalisierung als Motor für mehr Bildungsgerechtigkeit
Die Friedrich-Ebert-Stiftung beauftragte im Januar 2021 eine Kommission, die Maßnahmen zur Bekämpfung von Ungleichheit im deutschen Schulsystem definiert. Aus diesen resultieren mehrere Handlungsempfehlungen und Maßnahmen wie u.a. Aspekte digitaler Inklusion und Partizipation, die Schaffung schulischer digitaler Infrastrukturen und damit die Ausstattung mit Hard- und Software. Außerdem sollen nachhaltige (gesetzliche) Regelungen für Digitalisierung an Schulen definiert werden und pädagogisch-didaktische Konzepte digital gestützten Lernens und digitalisierungsbezogener Schulentwicklung entwickelt und umgesetzt werden.